Der Willen des Nachlassgebers des Roerich-Erbes wird mit Füßen getreten
oder
Wem nutzt die Zerstörung des nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums in Moskau?
Das Thema der Bewahrung und des Schutzes der kulturellen Errungenschaften aller Völker ist aktuell wie nie zuvor. „Die Zerstörung von Kulturdenkmälern führt zur Zerstörung der Lebensordnung“, so berichtete Soma Ibrahim, freie Journalistin aus Afghanistan, anlässlich der 4. Internationalen Konferenz „Die Aktualität des Nachlasses der Roerich-Familie in der modernen Welt“ in Wien. Am Beispiel ihres Landes zeigte die Journalistin auf, wohin die Zerstörung von Kultur heute führen kann, die über Jahrhunderte hinweg aufgebaut wurde. Wenn die Kultur zerstört wird, so folgt ihr die Unkultur nach.
Auf der 4. Internationalen Konferenz in Wien (15.-16. September 2016), durchgeführt unter der Schirmherrschaft des Internationalen nicht-staatlichen „Internationalen Roerich-Zentrums“, wurde die Aktualität der Devise „Frieden durch Kultur“ Nikolaj Roerichs, der in der Kultur eine überaus wichtige Grundlage für die Evolution des Menschen und die Bewahrung vor Kriegen erkannte, gewürdigt.
Nikolaj Roerich war ein Künstler von Weltruf, ein Wissenschaftler, Reisender, Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und Initiator des weltweit ersten internationalen Vertrages zum Schutz von Kulturschätzen – dem „Roerich-Pakt“. Dieses Abkommen wurde am 15. April 1935 in Washington in Anwesenheit des Präsidenten der USA, Franklin D. Roosevelt, und von Vertretern der USA und 20 Staaten Lateinamerikas unterzeichnet und von vielen Staaten Europas unterstützt. Der Roerich-Pakt ist ein gültiger Vertrag und berücksichtigt, im Gegensatz zu anderen internationalen Dokumenten, den bedingungslosen Schutz von materiellen und immateriellen Kulturdenkmälern sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten. Und dies unabhängig von ihrem Standort.
Heute werden Kulturschätze nicht nur zu Kriegszeiten zerstört, sie werden auch durch die Willkür von Staatsbeamten vernichtet. Ein Beispiel für eine solche Gefährdung ist aktuell das Schicksal der nicht-staatlichen Organisation „Internationales Roerich-Zentrum“, dessen Grundlage das nichtstaatliche „Nikolaj-Roerich-Museum“ ist. Gründer des Internationalen Roerich-Zentrums war der jüngste Sohn von Nikolaj Roerich, Svyatoslav Roerich, ein bekannter Künstler, Gesellschaftsträger und Staatsbürger Indiens. Seinerzeit erarbeitete er unter Beachtung nationalen und internationalen Rechts die notwendigen Dokumente, um dem Roerich-Zentrum das Eigentumsrecht auf den einzigartigen Nachlass der Roerichs zu übertragen, der für alle Welt Bedeutung hat. Es handelt sich um Hunderte von Gemälden, eine Bibliothek, ein einzigartiges Archiv mit unschätzbar wertvollen Manuskripten und kostbare Raritäten. Im Jahre 1989 erhielt Svyatoslav Roerich von der Regierung der UdSSR die schriftliche Garantie darüber, dass nach seinem Willen das von ihm gegründete Museum einen öffentlichen, nicht-staatlichen Status erhält und dass der Nachlass an die mit seiner Beteiligung geschaffene öffentliche Organisation übergeben wird. Auch wurde garantiert, dass das Nikolaj-Roerich-Museum auf dem Lopukhin-Gut in Moskau errichtet wird.
Das Anwesen des Lopukhin-Guts war damals, zum Ende der Sowjetzeit, vollkommen zerstört. Unter Leitung von Ludmila Shaposhnikova, Direktorin des nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums, Vertrauensperson und Vermächtnisverwalterin Svyatoslav Roerichs, bekannte Wissenschaftlerin und Gesellschaftsträgerin, baute das Internationale Roerich-Zentrum mit Unterstützung der Öffentlichkeit Russlands und anderer Länder die Gebäude des Anwesens wieder auf. Für die wissenschaftliche Restaurierung des Kulturdenkmales „Städtisches Lopukhin-Gut“ aus dem 17.-19. Jahrhundert wurde das Internationale Roerich-Zentrum mit russischen und internationalen Auszeichnungen geehrt, so auch mit der Auszeichnung der Gesamteuropäischen Gesellschaft „Europa Nostra“ in der Kategorie „Selbstloser Einsatz“.
Aber heute ist dieses einzigartige nichtstaatliche Museum mit der weltweit größten Sammlung von Bildern Nikolaj Roerichs in Gefahr, zu verschwinden. Die Leitung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation hat beschlossen, das Museum zu liquidieren und an seiner Stelle auf dem Lopukhin-Gut eine Zweigstelle des Staatlichen Museums für Orientalische Kunst zu etablieren. Dieser Beschluss wurde in Verletzung des Willens des Stifters des Nachlasses, Svyatoslav Roerich, gefasst und ist juristisch in keiner Form begründet.
Das Ministerium für Kultur der Russischen Föderation versucht, ohne jedwedes Recht, seine Handlungen mit formalen rechtlichen Aktionen zu untermauern, wofür die gesamte Macht der Staatsmaschinerie eingesetzt wird.
Auf Bitte des Ministers für Kultur der Russischen Föderation, Vladimir Medinski, wurde das Lopukhin-Anwesen, auf dem seit mehr als 25 Jahren das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum ohne staatliche finanzielle Unterstützung erfolgreich tätig ist, in die Verwaltung des Staatlichen Orientmuseums übergeben. Eine derartige Entscheidung ist nur schwer mit normaler Logik zu erklären. Es ist eher ein Schritt auf dem Weg eines von Staatsbeamten ausgedachten Planes zur Liquidierung eines öffentlichen und von der Gesellschaft geschaffenen Museums von Weltniveau. Die folgenden Schritte bestätigen diese Absicht.
Vladimir Medinski und Vladimir Aristarchov, sein Stellvertreter, haben vielfältige Überprüfungen der Aktivitäten des Internationalen Roerich-Zentrums durch Kontrollorgane angestoßen: angefangen mit der Arbeitsaufsicht bis zu Überprüfungen durch die Staatsanwaltschaft und das Justizministerium. Keine diese Überprüfungen brachte nennenswerte Verstöße zutage, die Tätigkeit des Internationalen Roerich-Zentrums wies „sogar“ keine Anzeichen von Extremismus auf, dessen das Ministerium für Kultur die anerkannte gesellschaftliche Organisation beschuldigte. All das, um seine Ziele zu erreichen!
Den Rausschmiss des Internationalen Roerich-Museums und seines nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums aus den rechtmäßig genutzten Gebäuden des Lopukhin-Guts versucht auch der stellvertretende Direktor des Staatlichen Museums für Orientalische Kunst, Tigran Mkrtytschev. Es werden Gerichtsverhandlungen arrangiert, es werden außerplanmäßige Überprüfungen angeblich im Rahmen des Rechts auf operative Verwaltung durchgeführt. Für die Diskreditierung der Leitung des nichtstaatlichen Roerich-Museums und seiner kulturellen Tätigkeit bemüht das Ministerium für Kultur der Russischen Föderation gar staatliche Fernsehsender und sonstige Medien. Der Strom von Verleumdungen und erlogener Informationen werden in den Nachrichtensendungen ganz Russlands und anderer Länder verbreitet. Gleichzeitig ist der Zugang des Internationalen Roerich-Zentrums zu den Medien für die Veröffentlichung von Material versperrt. Es herrscht praktisch eine Blockade.
Wir glauben, der Hauptgrund für derartige unvorstellbare Übergriffe sind rein materielle Interessen der Staatsbeamten. Es geht immerhin um unschätzbar wertvolle Kunstgegenstände und ein einzigartiges wissenschaftliches Archiv aus dem Nachlass der Roerichs im Wert von Hunderten von Millionen Euro. Es geht aber auch um die Gebäude des Zentrums und des Museums, die im Herzen von Moskau in unmittelbarer Nähe zum Kreml und der Erlöserkathedrale liegen.
Die Staatsbeamten erklären, dass sie die Kulturschätze der Roerichs in einer staatlichen Einrichtung besser bewahren könnten als die Öffentlichkeit. Allerdings gelang es den staatlichen Strukturen in Moskau nicht, die wertvolle Bildersammlung in der Wohnung Jurij Roerichs (1902-1960), älterem Sohns Roerichs und bedeutendem Orientalisten, zu beschützen. Auch wurde das Versprechen nicht erfüllt, ein staatliches Roerich-Museum zu gründen, in dem rund 400 Bilder ausgestellt werden sollten, die Jurij Roerich dem Staat kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Bis heute sind im Russischen Museum und der Tretyakov-Galerie Hunderte von Roerich-Gemälden, die von Jurij Roerich nach Russland gebracht wurden, in den Museumsarchiven, für Betrachter unzugänglich, eingelagert. Die Internationale nichtstaatliche Organisation „Internationales Roerich-Zentrum“ hingegen hat nicht nur den gesamten von Svyatoslav Roerich übergebenen Nachlass verlustfrei bewahrt, sondern vielmehr mit Hilfe von Mäzenen und Spendern die Kunstsammlung bedeutend erweitert, sodass sie mittlerweile fast 1.000 Werke der Roerichs umfasst.
Die kulturelle, wissenschaftliche, verlegerische und friedensfördernde Tätigkeit des Zentrums in den vergangenen 25 Jahren wird in der Welt hoch geschätzt. Mit dem Internationalen Roerich-Zentrum und seinem öffentlichen Museum kooperieren viele internationale Organisationen, darunter die UNESCO und die UNO. Das Internationale Roerich-Zentrum hat die Ideen des Roerich-Paktes und das Friedensbanner, das Nikolaj Roerich das „Rote Kreuz der Kultur“ nannte, in der ganzen Welt verbreitet. Mit seinem eindrucksvollen friedensfördernden Projekt „Der Roerich-Pakt. Geschichte und Gegenwart“ führt uns das Roerich-Zentrum eindringlich vor Augen, dass die Kultur als gesamtmenschheitliche Errungenschaft aktiv geschützt werden muss. Dieses Ausstellungsprojekt wurde mit aktiver Unterstützung durch öffentliche Organisationen wie dem UNO- und dem UNESCO-Hauptquartier, dem Friedenspalast in Den Haag sowie in vielen Städten der USA und Europas, Lateinamerikas, Asiens durchgeführt. Der Generalsekretär der UNO, Ban Ki-moon nannte dieses Projekt überaus aktuell und rechtzeitig.
Das nichtstaatliche Roerich-Zentrum entwickelt sich ungeachtet der durch die Staatsbeamten geschaffenen schwierigen Bedingungen und ist der Mittelpunkt einer internationalen Bewegung zum Schutz der Kultur. Es hat gewaltiges Potenzial zur weltweiten Unterstützung von Roerichs Idee zum „Frieden durch Kultur“. Das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums ist für das Publikum zugänglich, leistet große kulturelle Arbeit, führt Workshops in Malerei durch, hält Vorlesungen und Musikabende. Ein Blick auf die Website http://en.icr.su/news/ gibt einen Einblick in diese Aktivitäten. Aber erst bei einem Besuch dieses öffentlichen Museums lässt sich all dies mit eigenen Augen erforschen.
Derartige kulturelle Aktivitäten aber braucht das Ministerium für Kultur, das in Korruptionsskandale wie dem Verbringen von Kulturschätzen ins Ausland verstrickt ist, nicht. (Artikel der Moscow Post vom 16.09.2016)
Öffentliche Organisationen, Wissenschaftler, Kulturträger und einfache Bürger auf der ganzen Welt sind bestürzt über die zerstörerischen Handlungen der Führung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation gegen das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum. Sie wenden sich mit ihren Briefen an die russische Regierung, an den Staatspräsidenten, an das Außenministerium. Als Antwort bekommen sie einförmige Antworten, vorbereitet von den Staatsbeamten des Kulturministeriums.
Die Frage, ob das einzigartige Nikolaj Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrum den Status einer öffentlichen oder staatlichen Einrichtung haben soll, ist nicht einfach die Frage nach dem Status. Sie ist weit bedeutsamer. Es geht um die Verletzung des Willens des Besitzers eines Nachlasses von Weltbedeutung und um die faktische Zerstörung einer gesellschaftlichen Kulturform durch den Staat in Russland. Und hier ist das bedeutendste Beispiel das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum in Moskau.
Ohne eine tatkräftige und aktive internationale gesellschaftliche Bewegung zum Schutz von Kulturschätzen sind Verträge oft nur leere Worthülsen. Nach Unterzeichnung des Roerich-Paktes im Jahre 1935 schrieb Nikolaj Roerich: „Der Pakt darf nicht in den Regalen der Gesetzesarchiven verbleiben“ und sein tiefer Sinn liegt eben in einem gesellschaftlichen Schutz der Kultur. Heute ist die Bewahrung des Roerich-Nachlasses und des nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums in den Gebäuden des Lopukhin-Anwesens eben dieser gesellschaftliche Schutz von Kultur. Der Nachlass der Roerichs gehört nicht nur Russland, er ist ein bedeutender Teil der gesamten Weltkultur. Deshalb ist seine Bewahrung und sein Schutz Sache der gesamten Menschheit.
Wir wenden uns an alle Menschen, denen die kulturellen Errungenschaften der Menschheit nicht gleichgültig sind, bei der Unterstützung des Internationalen Roerich-Zentrums und dem Erhalt des Nikolaj-Roerich-Museums zu helfen. Jedes Unterstützungsschreiben an unsere Adresse hilft. Wir werden diese dann geschlossen nach Moskau schicken.
Halina Schneider
Vorsitzende des Vorstandes
Deutsche Roerich-Gesellschaft e.V.